„Gewalt bleibt nicht an den Außengrenzen stehen“

Von Monika Schneider-Mendoza · · 2024/Sep-Okt

Warum fehlende Rechtsstaatlichkeit uns alle trifft und die EU-Asylpolitik neue Zugänge braucht, erklärt der Asylrechtsexperte Lukas Gahleitner-Gertz.

Ob am Meer oder am Land: An den EU-Außengrenzen kommt es regelmäßig zu Pushbacks. Was bedeutet das für den Rechtsstaat?

Pushbacks sind rechtswidrige Handlungen der Staaten, mit denen schutzsuchende Menschen ohne Prüfung des Verfahrens oft mit physischer Gewalt, über die Grenze gestoßen werden. Das ist in vielen europäischen Ländern zur unausgesprochenen Realität geworden. Es ist eine primitive Methode, die mit einem Rechtsstaat nicht zu vereinbaren ist.

Was heißt das für diejenigen, die Pushbacks durchführen?

Die Verstöße sind offensichtlich Akte der Barbarei. Wir kennen die Videos aus Griechenland. Menschen, die mit verbundenen Händen ins Meer geworfen werden. Wir kennen die Berichte von zusammengeschlagenen Schutzsuchenden aus Kroatien und Bulgarien. Die Straflosigkeit wirkt auch nach innen und bleibt nicht folgenlos für die Gesellschaft. Diese Brutalität und Gewalt bleibt nicht an den Außengrenzen stehen. Die Menschen, die das durchführen, sind Teil unserer Gesellschaft.

Es gibt seit Mai einen neuen EU-Asyl- und Migrationspakt. Kann sich damit etwas ändern?

Es ist ein umfassendes Paket mit über 400 Seiten Gesetzestext. Es gibt wahrscheinlich niemanden, der alle Regeln kennt. Wie sich das in der Praxis auswirken wird, müssen wir noch abwarten. In der Regel sind die Länder an den EU-Außengrenzen für die Prüfung der Anträge zuständig. Da wir kein Verteilsystem haben, unterwandern diese Außengrenzländer die Aufnahme.

Inwiefern?

Das heißt, sie behandeln Menschen absichtlich schlecht, damit diese in ein anderes Land weiterfahren, etwa nach Schweden, wo sie ein rechtsstaatliches Verfahren und menschenwürdige Unterbringung bekommen. Das ist absurd. Wir haben in Europa ein dysfunktionales Zuständigkeitssystem. Die Realität ist eine logische Folge der europäischen Rahmenbedingungen. Der neue Pakt wird daran nicht viel ändern, weil es keine verpflichtende Verteilung geben wird und wir seit vielen Jahren erleben, dass die Europäische Kommission bei Verstößen sanktionslos zusieht.

Ist die EU mit Migration überfordert?

Wir sind nicht überfordert. In den vergangenen zehn Jahren haben wir genauso viele Flüchtlinge über das reguläre Asylsystem in die EU aufgenommen wie nach der russischen Invasion in der Ukraine in einem einzigen Jahr. Das zeigt, was möglich ist, wenn man nach pragmatischen Lösungen sucht.

Bräuchte es also eine andere Herangehensweise der EU?

Tatsächlich sehen wir, dass die EU zu wenig tut, um Migration in regulierter Form möglich zu machen, also im Bereich der Bildungs- und Arbeitsmigration. Stattdessen wird bei Flucht- und Zwangsmigration eine nicht umsetzbare Regulierung gefordert. Flucht ist oft per se chaotisch und trägt ein irreguläres Element in sich. Das hat auch die Genfer Flüchtlingskonvention, das grundlegende Dokument, schon berücksichtigt. Damals haben sich die 140 Staaten dazu verpflichtet Menschen für einen irregulären Grenzübertritt nicht zu bestrafen, weil es oft keine regulären Eingangswege gibt.

Sehen Sie einen Silberstreif am Horizont?

Wir hätten wahrscheinlich, auch wenn es paradox klingt, derzeit so gute Chancen wie noch nie für einen anderen Zugang zu Migration. Europa ist ein alternder Kontinent und braucht Arbeitskräfte. Wenn unsere Gesellschaft nicht auf die demographische Entwicklung reagiert, werden wir einen massiven Wohlstandsverlust erleiden.

Interview: Monika Schneider-Mendoza

© Mafalda Rakos

Lukas Gahleitner-Gertz ist Jurist und Sprecher für den Verein Asylkoordination Österreich. Er moderiert Asylfakt, den Podcast der NGO.

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